Erschreckende Datenlage.
Thomas Ranft.

Tagtäglich werden Millionen von Daten für Wettervorhersagen erfasst. Und zwar überall auf der Welt. Doch nicht nur für Wetterprognosen braucht es Daten, auch für die Klimaforschung sind sie wesentlich. Fernsehmoderator, Wissenschaftsjournalist und Wetterfrosch Thomas Ranft blickt beruflich auf Wetter- und Klimadaten. Sie bilden die Basis seiner Arbeit. Über den Unterschied zwischen Wetter und Klima haben wir mit ihm für bf|acto ebenso gesprochen wie über Extremwetter, den Klimawandel und das, was ihm trotz erschreckender Datenlage Hoffnung macht.

Autorin: Corinna Bokermann

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Thomas Ranft – Der Wetter- und Klimaexperte ist seit 1997 in Sachen Klima und Wetter im HR-Fernsehen wie auch im Ersten in unterschiedlichen Formaten zu sehen. Für die ARD steht der 57-Jährige, der mit seiner Familie in der hessischen Wetterau lebt, für das „Morgenmagazin“, „Wetter vor Acht“, die „Tagesthemen“ und „Live nach Neun“ vor der Kamera. Aber auch für das HR-Fernsehen bringt er seine Expertise in Wetter- und Klimasendungen aller Art ein. Das wöchentliche Wissensmagazin des Hessischen Rundfunks „Alles Wissen“ moderiert der Klimajournalist seit 2006. Rund 4.000 Ausgaben des Magazins „alle wetter“ – auch hier dreht sich alles um Wetter, Klima und Klimawandel – begleitet er seit 2001. Ebenso ist er bei Tagesschau24 der Mann fürs Wetter. Für die Themen Klimawandel, Energiewende und Nachhaltigkeit ist er zudem ein gefragter Gastredner.
www.ranft.tv

 

 

Was ist Ihr Lieblingswetter?

27 Grad und Sonne plus einige Schönwetter-Schäfchenwolken. Das klingt zugegebenermaßen total langweilig, aber ich mag es nicht kalt – ich bin wohl der lebende Beweis, dass wir Menschen unsere Wurzeln in Afrika haben …

Klimadaten sind das A und O, um Wettervorhersagen zu treffen. Seit wann werden diese erhoben?

In Deutschland verlässlich seit 1881. Die Frage ist jedoch: Was sind Klimadaten? Denn erst die Erhebung von Wetterdaten über einen langen Zeitraum führt zu Klimadaten. Und genau darin liegt auch die Herausforderung. Dafür brauchen wir Zahlen. Das fängt mit Werten für
Temperaturen an. Das heißt, das Thermometer musste nicht nur erfunden, sondern auch verlässlich einsetzbar sein. Der in Danzig geborene Physiker Daniel Gabriel
Fahrenheit verbesserte es 1714 beispielsweise, indem er eine brauchbare Skala mit Fixpunkten einführte. Ohne Zahlen ist es nämlich unmöglich, etwas über die
Klimaentwicklung zu sagen. Messstationen gibt es heute natürlich weltweit. Doch wenn sich die natürliche
Umgebung rund um eine Messstation verändert,
beispielsweise durch eine zunehmende Urbanisierung, verfälscht dies auch die Messergebnisse. Denn Gebäude und Bäume wirken sich auf Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Regen, Windgeschwindigkeit und Windrichtung aus. Der wachsende Flächenausbau – die Weltorganisation für
Meteorologie (WMO – World Meteorological Organization) gibt übrigens die Mess- und Beobachtungsbedingungen für offizielle Wetterstationen vor – verändert also die
Datenlage. Müssen Messstationen umziehen, so wie in München, Lingen oder Kassel, ist auch die Kontinuität der Erhebung an diesen Orten unterbrochen. Ein neuer
Standort heißt also immer auch ein neues Szenario.
Global gesehen braucht es aber
vergleichbare Messsituationen.

Ein neuer Standort heißt also immer auch ein neues
Szenario. Global gesehen braucht es aber vergleichbare Messsituationen. Das ist eine Riesenherausforderung.
Gemessen wird punktuell zwei Meter über dem Boden. Doch die Daten der Messstationen machen nur einen Teil der Daten aus. Ziemlich gutes Datenmaterial in Sachen Wärme- und Feuchtegehalt liefern heute auch Satelliten.

Welche Daten werden eigentlich erhoben?

Zu den klassischen Werten, die erhoben werden, gehören üblicherweise Temperatur, Luftdruck und -feuchte, aber auch die Sonneneinstrahlung sowie die Regenwassermenge. Es gibt aber auch Schadstoffmessstationen, wo unter anderem Schwefeldioxid, Stickoxide und CO2-Werte erfasst werden, die gesundheitsbelastend sind. Wenn wir Klima und Umwelt betrachten, sind auch diese Werte wichtig; Schwefeldioxid ist auf den ersten Blick für das Klima zwar nicht relevant, sorgt aber für sauren Regen und verändert dadurch die Wolkenbildung und damit auch die Sonneneinstrahlung. Allein dieses Beispiel zeigt die Abhängigkeiten. Wir befinden uns in einer Zeit großer Herausforderungen. Unsere Welt ist unvorstellbar komplex; deshalb übersehen wir häufig Abhängigkeiten. Doch alles hängt zusammen und einfache Antworten gibt es nicht. Vielmehr wirft eine Antwort gleich mehrere neue Fragen auf. Man kann also gar nicht weit genug gucken! Die Schwierigkeit bei Themen wie Nachhaltigkeit, gesellschaftlichen Zusammenhalt oder Klimawandel besteht darin, dass es keine einfache Antwort gibt. Das ist wie in einer Ehe. Verliebt hat man sich schnell. Das ist einfach, aber die Ehe ist als dauerhaftes Konstrukt vielschichtig. Damit sie funktioniert, muss man – wie in puncto Umwelt und Gesellschaft – kontinuierlich daran arbeiten.

Aber wenn in einer Ehe trotz einer Paarberatung die
Probleme unüberwindbar sind und es keine gemeinsame Basis mehr gibt, kann man sich scheiden lassen. Wenn wir uns dagegen unserer Umwelt gegenüber katastrophal
verhalten, gibt es keine Scheidungsoption . Wir können das Thema „Klimawandel“ lediglich gepflegt an die Wand
fahren und uns damit unsere eigene Lebensgrundlage
entziehen. Entgehen können wir dem Ganzen nicht.

Es geht also definitiv um mehr als nur das Wetter. Inwiefern helfen Daten dabei, die Klimakrise besser zu erfassen und zu verstehen?

Der Mensch hat kein Sinnesorgan fürs Klima. Die Einschätzung, was zu kalt und was zu warm ist, lässt sich ohne statistische Daten weder einordnen noch verstehen. Das heißt, es braucht Daten, die über einen langen Zeitraum erhoben werden müssen. Wenn wir sagen: „Das Wetter ist schön“, beschreiben wir lediglich einen spürbaren, kurzfristigen Zustand, der sich an einem bestimmten Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt als Sonnenschein – oder wahlweise natürlich auch als Regen, Wind, Hitze oder Kälte – äußert. Als Witterung bezeichnet man dagegen den Wetterverlauf über einen Zeitraum von einigen Tagen bis hin zu ganzen Jahreszeiten. Die Gesamtheit aller Wetterereignisse, die über einen längeren Zeitraum in einem größeren Gebiet stattfinden – die Weltorganisation für Meteorologie spricht von mindestens 30 Jahren – fasst man unter dem Begriff „Klima“ zusammen. Dahinter verbirgt sich also die Statistik des Wetters; das sind mit meteorologischen Methoden ermittelte Durchschnittswerte unserer Atmosphäre.

Inwiefern trägt eine datenbasierte Berichterstattung zur Bewusstseinsbildung über die Klimakrise bei?

Sie ist unverzichtbar! Allein, um täglich mehr über den Klimawandel zu lernen. Vor allem aber müssen wir mehr Wissen transportieren. Die Bewusstseinsbildung ist ein erster Schritt. Allerdings – auch das ist eine Erkenntnis – treibt Wissen keine Entscheidungen. Am Ende braucht es aktives Handeln. Doch die meisten gehen, typisch menschlich, in Deckung, fürchten sich vor dem Unbekannten. Die Leistungsfähigkeit von Daten hat hier Grenzen.

Was hat das Wetter mit dem
Klimawandel zu tun bzw. sind extreme Wetter eine Folge des Klimawandels?

Klimawandel kann man nicht spüren, aber das Wetter erleben. Extreme Wetter nehmen deutlich zu. Zu kalt wird es nur noch sehr selten, stattdessen wird es immer wärmer. In den 1950er-Jahren wurde im Rhein-Main-Gebiet kein Tag über 30 Grad gemessen, heute wäre ein Sommer ohne 30 Grad gefühlt ein Weltuntergang. Es gibt inzwischen unzählige Tage mit mehr als 30 Grad – sogar in sogenannten durchwachsenen Sommern. Und hatte man in den 1950er-Jahren noch gegen Kälte gebaut, müssten wir inzwischen gegen die kontinuierlich steigende Wärme bauen. Und zählten extreme Niederschlagsmengen wie im Ahrtal früher zu Jahrzehntereignissen, sind diese inzwischen ein 3-Jahres-Szenario.  
Auch in diesem Jahr gab es extreme Niederschlagsmengen, die jedoch dank der Topografie in anderen Gebieten Deutschlands nicht solche Auswirkungen hatten. In Griechenland führten 2023 Niederschlagsmengen von 1.000 Litern pro Quadratmeter – das ist bildlich gesprochen eine 1 Meter hohe Wassersäule – dagegen zu verheerenden Überschwemmungen. Solche extremen Wetter waren in Europa bislang unvorstellbar. Das lässt sich auch mithilfe von Daten belegen. Und so ist unser Wetter definitiv eine Folge des Klimawandels. Da sind sich die Meteorologen einig. Die Attributionsforschung – dabei wird untersucht und bewertet, wie verschiedene kausale Faktoren zu einer Klimaveränderung oder einem Ereignis beitragen – beschäftigt sich damit, ob so etwas im vorindustriellen Zeitalter möglich gewesen wäre.

In der Klimaforschung arbeitet man ja mit dem Begriff der Kipppunkte. Was versteht man darunter? Und wo stehen wir da im Augenblick?

Jeder, der bereits am Mittelmeer war, konnte sich die Folgen eines Kipppunktes ansehen. Noch vor 3.000 Jahren war es dort kühler und feuchter, und zwar aufgrund von Wäldern, die bis an den Strand reichten. Die Rodung unter anderem für den Schiff- und Häuserbau und die fehlende Wiederaufforstung führten dazu, dass Starkregen den verbliebenen fruchtbaren Boden weg-spülte. Das wussten die Menschen damals noch nicht, aber die Folge ist heute sichtbar: Dort wächst nichts mehr. Die Region ist, wie in Kroatien, viel felsiger geworden, mit kahlen Steinen als Boden. Beispiele für Kipppunkte gibt es weltweit – vom Absterben der Korallenriffe durch Hitze bis hin zum tauenden Permafrost. Auch der tropische Regenwald – ein Schatz unseres Planeten – ist massiv bedroht. Es ist extrem wichtig, ihn als Lebensraum zu bewahren, denn dort ballt sich auf engstem Raum ein sehr großer Teil unserer Artenvielfalt. Es gibt eine kritische Größe, die, wenn sie überschritten wird, das ganze System zum Kippen bringt. Wenn der enorme Wasserkreislauf, der kaum von außen gespeist wird, nicht mehr funktioniert, verdunstet einerseits nicht mehr genug Wasser. Zum anderen regnet dieses nicht mehr wie bisher über dem Regenwald ab. Die Folge: Der Regenwald wandelt sich erst zum normalen Wald und wird schließlich zur Savanne. Prognostiziert wurde vor gut zwei Jahren ein Zeitraum von fünf Jahren bis zum Eintritt dieses Kipppunktes.

Daten helfen dabei, bereits weit in die Zukunft zu blicken. Im Pariser Klimaabkommen steht das Ziel, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Ist das aus Ihrer Sicht noch zu erreichen?

Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens war es, den Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur zu beschränken, und zwar auf deutlich unter 2 Grad Celsius. Angepeilt wurden 1,5 Grad Celsius. Damals war die Welt auf dem Weg, sich um 4 Grad zu erwärmen. Das hätte uns in eine dystrophische Welt katapultiert. Durch weltweite Anstrengungen ist die Welt – allerdings hat Deutschland in den vergangenen 8 Jahren kaum etwas dazu beigetragen – um 1,3 Grad besser geworden, sodass wir inzwischen von 2,7 Grad sprechen. Dennoch, 2,7 Grad mehr bescheren uns eine Welt, in der wir nicht leben wollen. Damit würden viele Punkte überschritten: Korallenriffe würden nicht überleben, die tropischen Regenwälder und auch die Meere wären massiv betroffen. Es wäre schlichtweg dramatisch.
 

Der Meeresspiegel würde ansteigen, noch mehr CO2 aufnehmen und bildlich gesprochen machen wir damit in den Ozeanen aus Meerwasser Mineralwasser. Das Ergebnis kann ich bei meinem Wassersprudler in der Küche beobachten. Die Übersäuerung hätte Auswirkungen auf alle Lebewesen des Meeres, um nur einige Szenarien zu nennen. Ziel muss es sein, so wenig Erwärmung wie möglich zuzulassen. Selbst 2 Grad sind schon zu viel und noch nie dagewesen. Ganz abgesehen davon, dass es in manchen Regionen der Welt noch schwieriger würde, auskömmlich zu leben. Allerdings werden wir die 1,5-Grad-Marke erstmals wohl schon 2024 knacken. Doch alles, was wir dagegen tun, macht es weniger schlimm. Klar ist: Die Menschheit wird weiter existieren. Not macht erfinderisch und ich bin davon überzeugt: Die Welt wird immer bewohnt sein. Wir sollten jedoch an jedem Zehntel- und Hundertstelgrad arbeiten. Dazu können wir aktiv durch die Reduzierung des CO2-Ausstoßes beitragen, ob in der Mobilität, beim Konsum oder beim Heizen: Wir müssen schnellstmöglich aufhören, Zeug zu verbrennen. Und nebenbei: Ja, dieser Wandel ist zwar anstrengend, aber er macht unser Leben besser. Sauberer. Zukunftsfähiger. Und er sichert langfristig unseren Wohlstand. Denn Fakt ist, dass 40 Prozent der CO2-Emissionen 1.000 Jahre in der Atmosphäre verbleiben. Ein künftiger Schritt wird auf jeden Fall sein, CO2 wieder aus der Atmosphäre herauszuholen. Carbon Capture and Storage, kurz CCS, nennt man die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid. Es ist ein Verfahren, an dem geforscht wird. Allerdings kann man nicht mal schnell die Menge aus der Atmosphäre herausholen, die wir zurzeit hineinpusten. Positiv stimmt auch das Vorantreiben der erneuerbaren Energien. Motivieren wir Menschen, Unternehmen, Staaten, es künftig besser zu machen. Jeder kann bei sich selbst anfangen und keinem der acht Milliarden Menschen ist die Zukunft seiner Kinder egal; davon bin ich überzeugt.

Was macht Ihnen am meisten Hoffnung?

Der Klimawandel ist nicht leicht in den Griff zu bekommen, aber es gibt immer mehr Impulse in die richtige Richtung. Und, wie gesagt, es geht darum, die Menschen zu motivieren, sich zu entscheiden und etwas zu tun. Das Gebäudeenergiegesetz trägt aus meiner Sicht dazu bei. Es ging zwar ein Aufschrei durch die Bevölkerung und es ist wirklich nicht alles rundgelaufen in der Angelegenheit, aber der Klimawandel ist damit im eigenen Keller angekommen und erwischt uns erstmals mit voller Wucht. Wir alle werden nicht nur Technologien, sondern auch das eigene Verhalten ändern müssen, jeder in dem Rahmen, den er leisten kann. Dazu müssen wir uns auch anstrengen, aber: Wer im persönlichen Umfeld die Welt nachhaltig verändert, ist auf dem richtigen Weg. Dann zaubert einem die Solaranlage auf dem Dach, wenn man an der Anzeige vorbeigeht, auch ein Lächeln ins Gesicht.